1 Einleitung
Der zweite Weltkrieg hat das Leben und die Erinnerung in Europa wie kaum ein anderes Ereignis geprägt. In Film und Fernsehen, sowohl in Hollywood als auch in Dokumentationen, wurden symbolische Wendepunkte des Krieges wie die Luftschlacht um England, die Schlacht von Stalingrad oder die Landung der Alliierten in der Normandie, verewigt. Mit vergleichbarer Aufmerksamkeit wurden die Gräueltaten der Nazis, allen voran der Holocaust, untersucht und mal mehr mal weniger akkurat von besagten Medien dargestellt. Doch das Thema der Kriegsgefangenschaft hat bisher einen eher weniger prominenten Platz in der deutschen Erinnerungskultur eingenommen, vor allem was die Gefangenschaft deutscher Kriegsgefangenen im Westen angeht. Dies kann wohl zumindest zum Teil auch der deutschen Außenpolitik der ersten Nachkriegsjahrzehnte zugeschrieben werden, welche die Forschungsliteratur zu diesem Thema erst in den 70er Jahren der breiten Öffentlichkeit zugänglich machte, lange nachdem die letzten Kriegsgefangenen nach Deutschland zurückgekehrt waren (vgl. Benz & Schardt 1991, S. 10).
Diese Arbeit soll sich nun mit genau diesem Thema beschäftigen, genauer gesagt mit der Kriegsgefangenschaft deutscher Wehrmachtsangehöriger in britischer Gefangenschaft. Dabei wird sich diese Untersuchung auf die Kriegsgefangenen in Großbritannien beschränken, da eine gründliche Darstellung der Erfahrungen aller Gefangener in britischem Gewahrsam, also auch in den Ländern der Commonwealth, in Nordafrika und in Kontinentaleuropa, den Rahmen schlichtweg sprengen würde. Lediglich mit einbezogen wird die Deportation und die Umstände der Selbigen in die verschiedene Länder der britischen Commonwealth, da sich in diesem Abtransport deutscher Gefangener das Bild der Öffentlichkeit und der Politik dieser Gefangener in den ersten Kriegsjahren besonders deutlich widerspiegelt.
Neben dem Kriegsverlauf selbst hatte vor Allem der Einsatz der Deutschen als Arbeitskräfte gegen und nach Ende des Krieges einen erheblichen Einfluss auf dieses Bild Zur Durchführung dieser Untersuchung wird die Behandlung der deutschen Wehrmachtsangehörigen in chronologische Abschnitte eingeteilt werden, welche sich grob nach Wendepunkten im Kriegsverlauf richten, da diese – wie bereits angedeutet – in der Regel auch mit Änderungen in der Behandlung der Kriegsgefangenen einhergehen. In diesem Kontext wird mitunter auch auf die unterschiedliche Behandlung deutscher und italienischer Gefangener eingegangen werden.
Als sich spätestens ab 1943 der Sieg der Alliierten abzuzeichnen begann, starteten die Siegermächte, allen voran die USA und Großbritannien, ein Programm zur „Umerziehung“ deutscher Kriegsgefangener weg von nationalsozialistischen und hin zu westlichen, demokratischen Werten. Zwar gab es auch in der UDSSR Programme zur Umerziehung , dass diese sich aber an anderen Werten orientierten und teilweise auch zu anderen Zwecken durchgeführt wurden, sollte auf der Hand liegen (vgl. ebd., S. 12 f.). Dieses mit dem Begriff „Re-education“ bezeichnete Programm soll ebenfalls zumindest kurz dargestellt werden.
Zum Abschluss dieser Arbeit wird eine kurze Zusammenfassung zur Entwicklung der Kriegsgefangenschaft deutscher Wehrmachtsangehöriger in britischer Gefangenschaft im Laufe des Krieges vorgebracht , sowie ein Fazit zum Einfluss des Krieges auf die Behandlung und das Leben der Selbigen in Gefangenschaft gezogen werden.
Zur Bewerkstelligung dieser Untersuchung wurde hauptsächlich auf Fachbücher, sowie auf Aufsätze aus Fachzeitschriften, sowohl aus dem deutschen und als auch aus dem angloamerikanischen Raum, zurückgegriffen.
2 Kriegsgefangenschaft in britischer Hand
Über die gesamte Dauer des Krieges durchliefen etwa 3,7 Millionen deutsche Wehrmachtsangehörige insgesamt britische Kriegsgefangenschaft (vgl. Wolff 1974, S. 17). Dass die Anzahl an Kriegsgefangenen in britischem Gewahrsam und der Umgang mit den Selbigen stark von der Phase des Krieges abhing, liegt auf der Hand, weswegen diese Arbeit in verschiedene Phasen gegliedert wird. Die erste Phase behandelt die Erfahrungen deutscher Kriegsgefangener von Kriegsbeginn bis 1944. Bestimmend für diese Phase war vor Allem die Invasionsangst der britischen Öffentlichkeit und Politik und der damit verbundene Abtransport des größten Teils der deutschen Gefangenen. Nach der erfolgreichen Landung der westlichen Alliierten in der Normandie gerieten zum ersten mal größere Mengen Wehrmachtsangehöriger in Gefangenschaft. Dieser Umstand und die positive Erfahrung mit italienischen Kriegsgefangenen bewog die britische Regierung dazu, nun auch deutsche Kriegsgefangene als Arbeitskräfte im Land einzusetzen, was das Bild dieser Soldaten in der Öffentlichkeit prägte. Aufgrund dieser Veränderung im Umgang mit den Gefangenen bildet der Zeitabschnitt von 1944 bis zur Kapitulation die zweite Phase dieser Untersuchung. In der letzten Phase von 1944 bis zur Repatriierung der letzten deutschen Soldaten 1948 intensivierte sich die Nutzung deutscher Kriegsgefangener als Arbeitskräfte. Gleichzeitig wurde nun auch aktiv an der Umerziehung einiger dieser Individuen weg vom Nationalsozialismus und hin zu demokratischen Werten gearbeitet. Im folgenden Kapitel sollen diese drei Phasen und die für sie jeweils charakteristischen Merkmale im Detail dargestellt werden.
2.1. Von Kriegsbeginn bis zur Landung in der Normandie (1939-44)
Bereits wenige Wochen nach Kriegsausbruch in Europa gelangten die ersten Deutschen in britische Gefangenschaft. Hierbei handelte es sich um die Besatzung zweier deutscher U-Boote, darunter 18 Offiziere (vgl. Held 2008, S. 7). Insgesamt handelte es sich mit den „Unteroffizieren und Mannschaften“ um 112 Mann, welche in zwei verschiedenen Lager untergebracht wurden, eines für die Offiziere und das Andere für die niedrigeren Dienstgrade. Da Großbritannien in den ersten Monaten des Krieges die direkte Konfrontation mit Nazi-Deutschland vermied blieb auch die Zahl der Gefangen relativ niedrig, wobei ab 1940 ein stetiger Zufluss von Kriegsgefangenen in Form von deutschen Marine- und Luftwaffeangehöriger einsetzte, welche in der Regel in und um die britischen Inseln gefangen genommen wurden. Doch selbst unter diesem Zustrom waren bis Ende 1941 lediglich 6245 deutsche Kriegsgefangene in britischem Gewahrsam. Selbst diese vergleichsweise geringe Menge an Kriegsgefangenen war bereits global verstreut; Nur 1854 der deutschen Wehrmachtsangehörigen in britischem Gewahrsam waren in Großbritannien selbst untergebracht, der Rest verteilte sich auf Kanada, Nordafrika und Australien, also auf insgesamt vier (!) verschiedene Kontinente (vgl. Wolff 1974, S.3 ff.). Hier wird bereits deutlich, welches Ausmaß die bereits erwähnten Deportationen angenommen hatten, wie im Folgenden näher dargestellt werden soll.
2.1.1 Das Bild der Kriegsgefangenen in der Öffentlichkeit und Politik
Sowohl die zu Kriegsbeginn amtierende Regierung unter Chamberlain als auch die Mehrheit der britischen Öffentlichkeit, zumindest was die geäußerten Meinungen in den Medien angeht, sah Hitler und das Nazi-Regime und nicht das deutsche Volk an sich als Feind an. Dies ging auch aus der konsequenten Unterscheidung zwischen den „Germans“ und den „Nazis“ in der Rhetorik der damaligen Zeit hervor. Man ging sogar soweit den Krieg als eine Art „Befreiungskampf“ zu betrachten, um die Deutschen von der Tyrannei der Nazis zu erlösen. Allerdings wurde zu Beginn des Krieges auch erwartet, dass sich das deutsche Volk letztendlich gegen die Nazis wenden und der Krieg damit schnell vorbei sein würde. Dieses Bild der Deutschen als Opfer des Nationalsozialistischen Regime spiegelte sich auch in der Behandlung der wenigen Kriegsgefangenen zu Kriegsbeginn wieder. Diese wurden „nicht als gefährliche Feinde, sondern lediglich als im Auftrag einer kriminellen Regierung Handelnde gesehen“. Der Unterbringung der gefangenen Offiziere stieß jedoch schon früh auf Kritik in der britischen Öffentlichkeit. Diese waren nämlich in einem relativ luxuriösen Herrenhaus untergebracht, dessen Verwaltung entsprechend teuer war (vgl. Held 2007, S. 19-28).
Bis 1944 kam die britische Zivilbevölkerung so gut wie gar nicht mit den deutschen Kriegsgefangenen in Kontakt. Während italienische Kriegsgefangene schon relativ früh als Arbeitskräfte vor Allem in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, waren die Deutschen für den Großteil des Krieges nicht beschäftigt worden, was unter Anderem auch an Sicherheitsbedenken der britischen Regierung lag. Aufgrund dieser Bedenken versuchte die britische Regierung, den Kontakt zwischen der britischen Zivilbevölkerung und vor Allem den deutschen Kriegsgefangenen so gering wie möglich zu halten. Dies ging soweit, dass die Regierung Großbritanniens ein allgemeines „Fraternisierungsverbot“ aussprach, welches in verschiedenen Gesetzten seinen Ausdruck fand, so z.B. im Verbot sich auch nur in die Nähe eines Kriegsgefangenenlagers zu geben. Allgemein sollte dieses Verbot dem Kontakt und der „Verbrüderung“ britischer Zivilisten mit deutschen Wehrmachtsangehörigen vorbeugen, indem es den Kontakt beider Gruppen zueinander minimierte (vgl. Moore 2013, S. 743 f.).
Nach der Invasion und Eroberung Polens und den damit verbundenen, von der Wehrmacht verübten, Gräueltaten, begann sich das Bild der Deutschen in Großbritannien allmählich zu wandeln. Zwar wurde immer noch hauptsächlich die Nazi-Regierung für diese Verbrechen im Spezifischen, und den Krieg im Allgemeinen, verantwortlich gemacht, jedoch wurde nun auch anerkannt, dass das deutsche Volk wenig, wenn überhaupt etwas, gegen dieses Regime unternahm. Im Gegenteil, laut einem amerikanischen Bericht fand sich keine „allgemeine Unzufriedenheit“ des deutschen Volkes mit dem bisherigen Kriegsverlauf.
Spätestens mit den Angriffen auf Dänemark und Norwegen war die Unterscheidung zwischen Deutschen und Nazis aufgehoben. Man sprach nun davon, dass sich das deutsche Volk mit der Nazi-Regierung identifiziere und daher nicht mehr von ihnen zu unterscheiden sei. Dieser Wandel im Bild der Deutschen in der britischen Politik und Öffentlichkeit hatte natürlich auch Auswirkungen auf die Behandlung der bisher gefangen genommenen deutschen Wehrmachtsangehörigen. Diese wurden nun nicht mehr als fehlgeleitete Soldaten gesehen, welche lediglich ihre Pflicht im Dienste eines tyrannischen Staates erfüllten, sondern als „Vertreter eines zu bekämpfenden Regimes identifiziert“ (Held 2007, S. 25). Die Furcht vor einer bevorstehenden Invasion Deutschlands schürte die Ängste und die Ressentiments der britischen Öffentlichkeit gegenüber den Deutschen innerhalb und außerhalb Großbritanniens verständlicherweise noch mehr. Dies hatte einen größeren Einfluss auf die im vereinigten Königreich bereits vor dem Krieg lebenden Deutschen und Österreicher, darunter viele flüchtige Juden, als auf die eigentlichen Kriegsgefangenen. Ein Anteil Ersterer wurden nämlich nun aufgrund von Befürchtungen einer Sabotage oder gar eines Angriffs von Innen heraus zusammen mit teilweise nationalsozialistischen Matrosen von NS-Handelsschiffen in Lager interniert. Wieso es eine schlechte Idee ist Seeleute, welche teilweise selbst Nazis waren oder den Nationalsozialismus unterstützten, und Juden zusammen in ein Lager zu sperren, muss wohl kaum hervorgehoben werden. Es genügt hier festzuhalten, dass es des Öfteren zu gewaltsamen Zusammenstößen beider Gruppen innerhalb der Lager kam (vgl. ebd., S. 28. ff.).
Diese Internierung von Deutschen und Österreichern, sowie von deutschen und österreichischen Juden, zeigt noch einmal besonders deutlich, wie sich das Bild des Feindes bereits in diesem relativ kurzem Zeitraum drastisch geändert hat. Vom Nationalsozialismus „verführten“, aber im Grunde genommen unschuldigen oder zumindest unverantwortlichen Mitmenschen zum Schreckensgespenst Europas und Großbritanniens (vgl. ebd.). Diese Paranoia, breitete sich natürlich auch auf das Thema der gefangenen Wehrmachtsangehörigen im vereinigten Königreich aus. Während diese in der Öffentlichkeit bisher nur eine relativ geringe Rolle gespielt hatten, wurden sie nun als akutes Sicherheitsrisiko wahrgenommen. Der größte Teil der sich im Land befindlichen Deutschen und Österreicher, egal ob Zivilisten oder Soldaten, sollten vom britischen Festland auf kleinere Inseln des britischen Archipels deportiert werden. Churchill rechtfertigte diese Überlegungen damit, die Internierten seien in den Lagern sicherer, als in der Öffentlichkeit, da die britische Bevölkerung im Falle eines deutschen Angriffes ihre Wut und ihre Frustration nicht an selbigen auslassen könnte. Letztendlich wurden die Gegangenen allerdings nicht auf Inseln, sondern in einen „als ‘protected area’ definierten Küstenabschnitt“ gebracht. Von dieser Maßnahme waren auch nicht alle Kriegsgefangenen und Zivilinternierten betroffen, sondern lediglich „die männlichen enemy aliens im Alter zwischen 16 und 60 Jahren“ (vgl. ebd., S. 33 ff.).
Als sich in Belgien und Frankreich schließlich auch eine alliierte Niederlage abzeichnete, wurden Stimmen in der Öffentlichkeit laut sowohl die Zivilinternierten als auch die Kriegsgefangenen komplett außer Landes zu bringen. Zunächst wurde noch darüber diskutiert, ob es ausreichend wäre, die Gegangenen und Internierten auf kleinere britische Inseln zu deportieren, wie bereits vorher schon einmal in Anbetracht gezogen wurden. Man kam allerdings relativ schnell zu dem Schluss, dass im Angesicht einer drohenden deutschen Invasion diese Maßnahme nicht mehr ausreichend sei, da Teile der britischen Regierung, darunter auch wieder Churchill, befürchteten, dass die Invasoren die gefangenen Deutschen und Österreicher mit per Flugzeug über den Lagern abgeworfenen Waffen befreien, und somit einen Angriff von innen bewirken könnten. Nach – aus britischer Sicht wahrscheinlich länger als gewünschten – Verhandlungen mit Kanada erklärten sich diese als Erste bereit, deutsche und österreichische Kriegsgefangene und Zivilinternierte aufzunehmen. Kurz darauf willigten auch Australien und Neufundland ein und Ende Juni 1940 wurde mit der Deportation begonnen. Ob diese einerseits gerechtfertigt und andererseits rechtens im Sinne der Genfer Konvention war wurde im Vorfeld nicht diskutiert. Nun war es allerdings so, das der Abtransport deutscher Kriegsgefangener durchaus als Verstoß gegen die Konvention ausgelegt werden konnte, nämlich dann, wenn die Gefangenen dabei unnötig Gefahr ausgesetzt werden. Man befürchtete im britischen Außenministerium auch, dass die deutsche Regierung mit Vergeltungsmaßnahmen der selben Art antworten und britische Kriegsgefangene in entlegenere Gebiete des nun zu großen Teilen von Deutschland und seinen Verbündeten besetzten Europas deportieren könnte. Wie gefährlich der Transport der Kriegsgefangenen und Internierten tatsächlich sein konnte stellte sich noch im selben Monat heraus, als eines der Transportschiffe, die Andorra Star, von deutschen U-Booten angegriffen und versenkt wurde. Die britische Regierung weigerte sich Verantwortung für diesen Vorfall zu übernehmen, da es generell nicht den „rules of warfare“ entspräche, „merchant ships“ anzugreifen. Die Regierung hatte allerdings versäumt das internationale Komitee des roten Kreuzes über diesen Transport zu informieren und so wusste auch der Kapitän des deutschen U-Bootes, welches das Transportschiff versenkt hatte, nichts über deren Passagiere (vgl. ebd., S. 36-45, S. 49-50).
Dieses Ereignis führte zum ersten Mal zu einer gewissen Skepsis innerhalb der britischen Bevölkerung bezüglich der Deportationen. Zu dieser Skepsis beigetragen hat auch ein Vorfall auf dem Transportschiff „Duchess of York“, bei welchem „ein deutscher Matrose der Handelsmarine“ erschossen und zwei weitere sich an Bord befindliche Internierte bzw. Gefangene verwundet wurden, weil diese und andere Personen das Deck nicht schnell genug geräumt hätten. Laut dem Bericht eines deutschen Offiziers an Bord wurde den zu Deportierenden lediglich einen Tag vor der Abreise mitgeteilt, dass sie an einen anderen Ort gebracht werden sollte, ohne dabei zu spezifizieren, wo dieser Ort sein soll. Darüber hinaus wurde ihnen mitgeteilt, die Reise solle nur „5 bis 6 Stunden dauern“, weswegen „weder Toilettenartikel noch Wäsche“ eingepackt wurden, auf welche die Deutschen und Österreicher an Bord dann ohnehin keinen Zugriff hatten. Bei diesem Transport waren auch wieder Flüchtlinge des Nazi-Regimes zusammen mit Nazis untergebracht, was wiederum zu „Reibereien“ führte (vgl. ebd., S. 36-47).
Die Vorfälle hatten langfristige Folgen für die Zivilinternierten. Die Öffentlichkeit, welche noch vor Kurzem die Zwangsinternierung und Deportation der deutschen und österreichischen Bevölkerung Großbritanniens gefordert hatte, ließ nun ihre Empörung über diese Maßnahmen verlauten. Als Konsequenz wurden viele der als weniger gefährlich eingestuften Zivilisten über die nächsten Monate freigelassen. An der Lage der Kriegsgefangenen sollten dies allerdings nichts ändern. Sie wurden zum allergrößten Teil weiterhin außer Landes gebracht (vgl. ebd., S. 51-52).
2.1.2 Das Prinzip der Gegenseitigkeit als bestimmender Faktor
Wie bereits kurz erwähnt wurde, befürchtete Großbritannien eine Reaktion Deutschlands auf die Deportationen. Diese Furcht war im gesamten Verlauf des Krieges einer der wichtigsten Faktoren für die Einhaltung der in der Genfer Konvention vorgeschriebenen Regelungen und Maßnahmen zur humanen Behandlung der Kriegsgefangenen das Prinzip der Gegenseitigkeit: Da der Gegner ebenfalls eigene gefangen genommene Soldaten in Gewahrsam hielt – im Falle Großbritanniens hatte Deutschland in den ersten Kriegsjahren auch eine unverhältnismäßig größere Anzahl an Gefangenen – müssten Kriegsgefangene des Gegners im eigenen Gewahrsam nach einem gemäß der Genfer Konvention festgelegten Mindestmaß so gut wie nötig behandelt werden, um Vergeltungsmaßnahmen des Gegners gegen die eigenen Streitkräfte in gegnerischen Gewahrsam zu verhindern bzw. diesen vorzubeugen, indem man dem Gegner so wenig Gründe wie möglich gibt, die eigenen Soldaten unterhalb dieses Mindestmaßes zu behandeln (vgl. Held 2007, S. 63). Mackenzie merkt an, dass es vor Allem in den späteren Kriegsjahren, als es vermehrt zu Bombenabwürfen seitens der Luftwaffe auf zivile Ziele kam, dieses Prinzip war, welches die deutschen Kriegsgefangenen vor Vergeltungsmaßnahmen britischer Seite schützte. Vor dem Hintergrund des Gegenseitigkeitsprinzips war es dann auch möglich mehrere Gefangenenaustausche zu organisieren (vgl. Mackenzie 1994, S. 491). Mackenzie zufolge ist es dieses Prinzip, mehr noch als die Genfer Konvention an sich und die Teilhabe an einer „commom humanity“, welche die Konvention mitunter verkörpert, was zur Einhaltung dieser Konvention über den größten Zeitraum des Krieges im Westen bestimmte (vgl. ebd., S. 518). Vor diesem Hintergrund macht dann auch die relativ gute Versorgung der Kriegsgefangen, welche im nächsten Abschnitt kurz dargestellt werden wird, durchaus Sinn.
2.1.2 Die Lebensumstände in den Lagern und die politische Einstellung der Gefangenen
Zuständig für die Verwaltung der deutschen Kriegsgefangen war zu Kriegsbeginn das Kriegsministerium unter Leslie Hore-Belisha, welches damit auch für die Unterbringung und Versorgung der Selbigen verantwortlich war. Wie bereits erwähnt wurden bereits die ersten 112 Gegangenen in zwei unterschiedliche Lager, jeweils eines für Offiziere und eines für die Mannschaften, unterteilt (vgl. Held 2007, S. 26 ff.).
Untergebracht waren der Großteil der Gefangenen in „Nissen huts“, welche Neufeld und Watson als „corrugated tin and wood structures“ beschrieben. In jeder Hütte wurden bis zu 80 Mann beherbergt, welche mit Betten, Tischen und Sitzbänken ausgestattet waren. Die Autoren merken an, dass den Gefangenen auch Freizeitaktivitäten wie „sports, cards, chess, English lessons and educational opportunities“ angeboten wurden (vgl. Neufeld & Watson 2013, S. 38).
Die deutschen Kriegsgefangenen trugen ihre Uniformen, wobei es hier aufgrund der „Textilknappheit des Landes“ des Öfteren zu Nachschubproblemen kam (vgl. Wolff 1974, S. 34). „Nazi Loyalists“ wurden von den anderen Gefangenen getrennt und durch eine schwarze Markierung an der Kleidung kenntlich gemacht (vgl. Neufeld & Watson 2013, S. 38). Die Versorgung mit Nahrungsmitteln entsprach zum größten Teil den in der Genfer Konvention geforderten Standards. Den gefangenen stand eine relativ große Auswahl an unterschiedlichen Speisen und Getränken zur Verfügung, darunter Brot, Fleisch, Käse, Kartoffeln, Kaffee, Tee und Milch. Dadurch wurden ungefähr 3300-3400 Kalorien pro Tag pro Mann abgedeckt. Auch die gesundheitliche Versorgung war laut dem Komitee des internationalen roten Kreuzes „stets zufriedenstellend“ (vgl. Wolff 1974, S. 36-39).
In den ersten Kriegsjahren wurden die deutschen und österreichischen Kriegsgefangenen noch nicht als Arbeitskräfte im Land eingesetzt, obwohl dies gemäß den Bestimmungen der Genfer Konvention für die unteren Dienstgrade durchaus möglich war. Die einzige zu beachtende Limitierung hierbei war, dass die für die Gefangenen vorgesehene Arbeit weder „dangerous“ noch „humiliating, or directly related to military operations“ sein dürfe. Abgesehen vom offensichtlichen Nutzen, welche die jeweilige Gewahrsamsmacht dadurch aus ihren Gefangenen ziehen konnte, sollte die Arbeit auch die allgemeine psychische und physische Gesundheit der Selbigen fördern (vgl. Davis 1977, S. 626). Dass die deutschen Kriegsgefangenen jedenfalls in den ersten Kriegsjahren noch nicht als Arbeitskräfte eingesetzt worden waren lag zum Einen an mehreren praktischen Gründen. Erstens daran, dass es immer noch relativ wenige deutsche bzw. österreichische Gefangene insgesamt und durch die Deportation noch weniger in Großbritannien selbst gab, sodass der Nutzen den administrativen Aufwand möglicherweise gar nicht wett machen würde (vgl. Held, S. 2007, 55-57), und zweitens daran, dass es im Land Arbeitslose gab, welche zuerst beschäftigt werden sollen (vgl. Moore 1997, S. 119). Zum Anderen seien die Deutschen – im Gegensatz zu den Italienern, welche bereits relativ früh als Arbeitskräfte eingesetzt wurden – dem vereinigten Königreich „feindlich (‘hostile’) eingestellt“. Churchill ging sogar soweit die Italiener als „docile“ zu beschreiben, in starkem Kontrast gegenüber den „als ‘fanatische Nationalsozialisten’“ angesehenen Deutschen (vgl. Held 2007, S. 55-57). Moore begründet diese Sichtweise teilweise dadurch, dass die Italiener, anders als die Deutschen, niemals „seriously as ‘the enemy’ by large sections of the public“ angesehen wurde (vgl. Moore 2013, S. 753).
Diese Sichtweise der Deutschen als gefährlicher Gegner im Vergleich zu den fügsamen Italienern basierte zum Teil auf seit Beginn des Krieges geführten Verhören mit den Gefangenen, bei welchen deren Einstellung gegenüber Großbritannien ebenfalls wieder mit dem Wort „hostile“ beschrieben wurde. Im Kontrast hierzu stand der Bericht des Generalmajors Cyrus Brooks, welcher nach mehreren Verhören mit deutschen Wehrpflichtigen, sowie mit deutschen Zivilisten in britischem Gewahrsam, zu dem Schluss kam, dass es den Meisten hauptsächlich darum ging, so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren um wieder ein normales Leben aufzunehmen, selbst wenn dies eine Niederlage Deutschlands im Krieg voraussetzen würde. Angehörige der Luftwaffe, darunter wohl auch einige Nazis, glaubten dagegen an einen schnellen Sieg Deutschlands, auch wenn sie im Falle Großbritanniens auf einen baldigen Frieden hofften, da die Briten ein „Brudervolk“ seien, welches man nicht bekämpfen mochte. Insgesamt sei die Mehrheit der Gefangenen weder an der Politik, noch am Ausgang des Krieges großartig interessiert gewesen, auch wenn „die (so empfundenen) sozialpolitischen Errungenschaften des Nationalsozialismus“ viele zu Befürwortern der NSDAP machten. Da dieses allzu menschliche Bild der deutschen Soldaten nicht tauglich für die britische Propaganda des gefährlichen deutschen Feindes war, welcher „mit allen Mitteln bekämpft werden“ musste, wurde Cyrus’ Bericht über diese Verhöre allerdings nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (vgl. Held 2007, S.60 f.).
Brooks schlussfolgerte aus seinen Verhören, dass die vom Nationalsozialismus überzeugten Gefangenen ihrerseits überzeugt werden müssten „daß er [der Gefangene an sich] nationalsozialistische Ideen und Parolen gedankenlos nachgebetet habe, ohne sie wirklich zu analysieren.“ (Smith 1997 Bonn, S. 21). Hierin sieht Smith erste Ansätze für ein Programm der Umerziehung, welches zu diesem frühen Zeitpunkt allerdings noch nicht umgesetzt wurde (vgl. ebd.). Diese Ansätze sollten allerdings im späteren Verlauf des Krieges, nach den ersten Erfolgen der westlichen Alliierten in Westeuropa und dem damit zusammenhängenden Anstieg der Kriegsgefangenenzahl, wieder aufgenommen werden, auf was später noch einmal zurückgekommen werden soll.
2.1.4 Erste Alliierte Erfolge in Nordafrika und die Fesselungskrise
Bis Ende 1941 war die Gesamtzahl deutscher Kriegsgefangener auf 7275 gestiegen (vgl. Held 2007, S. 53). Bis Ende 1942 hatte sich diese Zahl aufgrund der militärischen Erfolge in Nordafrika auf 25190 erhöht. Hiervon wurde der Großteil, wie schon zu Beginn des Krieges der Fall gewesen war, außerhalb Europas gebracht und nicht in Großbritannien selbst verwahrt. Ende 1943 steig diese Zahl auf insgesamt 34986 deutsche Kriegsgefangene in britischem Gewahrsam. Dieser relativ geringe Anstieg im Vergleich zu 1942 ist unter Anderem mit einer Abmachung zwischen Großbritannien und den USA zu erklären, welche sich dazu bereits erklärt hatten „150000 ‘British-owned Prisoners of War’“ aufzunehmen. Somit wurden die Meisten der in Afrika gemachten Gefangenen an die USA übergeben (vgl.Wolff 1974, S. 6 ff.).
Mit dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion und dem Kriegseintritts der USA in Folge des japanischen Angriffs auf Pearl Harbor gegen Ende 1941 wendete sich das Kriegsglück langsam aber sicher gegen Nazi-Deutschland. Die Alliierten konnten nun vermehrt militärische Erfolge verzeichnen, welche vorher bis auf die Luftschlacht um Großbritannien größtenteils ausblieben. Die Häufung und Intensivierung von Konfrontationen zwischen den Kriegsparteien und der damit einhergehende Anstieg der Anzahl der Kriegsgefangenen führte allerdings auch zu einer Affäre, welche als „Fesselungskrise“ (Held 2007, S. 14) bekannt wurde. Diese Krise wurde herbeigeführt durch die Auffindung toter deutscher Soldaten mit gefesselten Händen nach einem Angriff britischer und kanadischer Truppen auf die von den Deutschen besetzte französische Hafenstadt Dieppe. Das Oberkommando der Wehrmacht und Hitler reagierten auf diese Entdeckung mit der Forderung, dass die Hände von deutschen Kriegsgefangenen in Zukunft nicht mehr gebunden werden durften. Würde diesem Ultimatum innerhalb eines Tages nicht zugestimmt werden, so würden die britischen Kriegsgefangenen, welche bei Dieppe von den Deutschen gemacht wurden, ebenfalls gefesselt werden. Churchill zufolge wurden die vorgefundenen Gefangenen bei einem Fluchtversuch erschossen, was als Grund auszureichen schien das britische „War Cabinet“ davon zu überzeugen, nicht auf das deutsche Ultimatum einzugehen und stattdessen ein eigenes Ultimatum zu stellen. Sollte Deutschland britischen Kriegsgefangenen Fesseln anlegen, so würde Großbritannien die selbe Anzahl deutscher Kriegsgefangener fesseln. Dieser diplomatische Austausch spielte sich am siebten und achten Oktober 1942 ab. Bis zum zehnten Oktober befanden sich insgesamt (nicht jeweils) 5500 deutsche und britische Soldaten in Fesseln. Die Situation eskalierte jedoch nicht weiter, da beide Seiten zu realisieren begannen, dass weitere Vergeltungsmaßnahmen nur weitere Reaktionen des Gegenübers provozieren würden, und bis Anfang 1943 war die Lage weitestgehend entschärft (vgl. Mackenzie 1994, S. 491 f.).
Bis auf diese dramatische Episode veränderte sich von 1939 bis 1944 nicht viel in der Behandlung der Kriegsgefangenen. Wie bereits zu Beginn des Krieges wurden die meisten Gefangenen ins Ausland deportiert. Dies sollte sich mit der Landung alliierter Truppen in Nordfrankreich, im englischsprachigen Raum bekannt unter dem Begriff „D-Day“, ändern.
2.2 D-Day bis zur Kapitulation (1944-45)
Wolff zufolge befanden sich Ende Juli 1944 insgesamt 55 235 Gefangene und Ende Dezember des selben Jahres bis zu 270 561 in britischem Gewahrsam. Bis Juli 1945 verdoppelte sich diese Zahl fast auf 574 062, bevor Sie in den nächsten Monaten und Jahren langsam aber stetig bis zum Juni 1948, in welchem Monat die letzten Deutschen repatriiert wurden, abfiel. Nicht in dieser Rechnung mit inbegriffen sind deutsche Soldaten, welche nach der Kapitulation Deutschlands in britische Gefangenschaft gerieten, da diese von den USA und Großbritannien nicht als Kriegsgefangene im Sinne der Genfer Konvention angesehen wurden. Diese Männer wurden als „’Surrendered Enemy Personnel (SEP)’ von den Briten bzw. ‘Disarmed Enemy Forces (DEF)’“ von den Amerikanern bezeichnet und ihrer gab es im Western insgesamt etwa 4 Millionen, verteilt hauptsächlich auf die beiden großen westlichen Siegermächte. Da diese außerordentlich große Menge an Gefangenen es schwer, wenn nicht sogar unmöglich, machte, eine Versorgung und Behandlung gemäß den Regelungen der Genfer Konvention zu gewährleisten, wurden den kapitulierten Streitkräften Deutschlands der Kriegsgefangenenstatus versagt. Außerdem hatten die Alliierten nun keine Vergeltung bei niedrigeren Standards bzgl. der Behandlung der ehemaligen deutschen Wehrmachtsangehörigen gegen ihre eigenen Gefangenen von deutscher Seite mehr zu befürchten, da diese nun alle befreit worden waren. Das internationale rote Kreuz protestierte, mitunter auch unter zuhilfenahme juristischer Mittel, vehement gegen diesen Sonderstatus, welche diesen Kriegsgefangenen ihre durch die Genfer Konvention zustehenden Rechte zumindest zum Teil absprach, allerdings ohne Erfolg. Trotz ihres neuen Status sollten die Gefangen generell „as humanly as possible“ behandelt worden sein. Werden diese SEPs in die Rechnung mit einbezogen, so belief sich die Gesamtzahl an deutschen Gefangenen in britischem Gewahrsam auf ungefähr 2 788 000 (vgl. Wolff 1974, S. 11 ff.). Laut Mackenzie wurden die Bedingungen, unter welchen diese Gefangenen von den Alliierten behandelt wurden, verändert „when and where it was deemed necessary.“ (Mackenzie 1994, S. 502). Als Resultat hieraus mussten die SEPs teilweise „extremely harsh conditions“ erdulden, was dazu beitrug, dass nicht ausreichend Aufwand für die Versorgung der deutschen Gefangenen betrieben wurde, was letztendlich zum Tod zehntausender durch Hunger und Krankheit führte. Mackenzie geht davon aus, dass hierbei auch „self-interest and a desire for retribution“ eine Rolle spielten und illustriert dies an dem Beispiel, dass auch offensichtlich zu stark erkrankte SEPs zur Arbeit am Wiederaufbau ehemals besetzter Gebiete gezwungen wurden, was manchen das Leben kostete (vgl. ebd., S. 503).
Für die ungefähr 570 000 deutschen Kriegsgefangenen, welche nach der Beendigung des Krieges in Großbritannien verblieben und nicht, wie ein Großteil der SEPs, ins Ausland verschifft wurden, veränderte sich zunächst nichts grundsätzliches in deren Behandlung, welche immer noch größtenteils den Regelungen der Genfer Konvention entsprach. Allerdings hatten Deutschland und Großbritannien überdies im Laufe des Krieges mehrere „ergänzende bzw. modifizierende Abkommen“ zur verbesserten Behandlung ihrer Kriegsgefangenen getroffen, darunter auch die Erlaubnis des Postverkehrs in die Heimat. Allgemein war die Versorgung den Umständen entsprechend gut und die meisten Kriegsgefangenen konnten bis 1948 „gesund und arbeitsfähig“ in die Heimat zurückkehren. Einzig zu bemängeln seitens des internationalen Komitees des roten Kreuzes war die Unterbringung deutscher Kriegsgefangener in Zelten, mitunter auch in den Wintermonaten. Diese Art der Unterkunft wurde jedoch schnellstmöglich durch Baracken ersetzt (vgl. Wolff 1974, S. 31 ff.).
Aufgrund der großen Zahl der Gefangenen, welche gegen Ende des Krieges nach Großbritannien kamen, verstärkte sich das bereits vorher erwähnte Problem der Textilknappheit. Mitunter verfügte nur ein Bruchteil der gefangen Genommenen über annähernd vollständige Uniformen, welche sie tragen konnten. Aus diesem Grund wurden braun gefärbte Uniformen, welche mit einem oder mehreren Erkennungsmerkmalen versehen waren, an die Gefangenen ausgeteilt, welche diese allerdings „mitunter […] als diskriminierend empfunden“ haben. Einige der Gefangenen brachten eigene Kleidungsstücke, welche sie sich in amerikanischen Kriegsgefangenenlagern mit ihren Arbeiterlöhnen zugelegt hatten, mit nach Großbritannien. Dort mussten diese allerdings aufgrund von fehlender Kommunikation zwischen den USA und dem vereinigten Königreich abgegeben werden, da den Briten nicht mitgeteilt wurde, dass es sich dabei um Privateigentum handelt (vgl. ebd., S. 35 f.).
Was die Nahrungsmittelsituation anbelangt mussten die Kalorien für die Kriegsgefangenen aufgrund der „Ernährungskrise […] weltweit“ nun teils drastisch gekürzt werden: „2800 für arbeitende Kriegsgefangene [und] 2000 für nichtarbeitende Kriegsgefangene“, also ein Unterschied von 1300-1400 Kalorien für Letztere, welcher bei einigen Gefangenen zu Gewichtsverlusten führte. Gegen Ende November 1945 bestanden zwei der drei am Tag erhaltenen Mahlzeiten hauptsächlich aus Brot mit entweder Marmelade oder Käse. Dies waren im Vergleich zur britischen Besatzungszone innerhalb Deutschlands allerdings immer noch üppige Verhältnisse. Hier waren lediglich 1200 bis 1500 Kalorien pro Tag vorgesehen. Insgesamt bewerteten die Gefangenen die allgemeine Lebensmittelsituation als gut oder zumindest ausreichend (vgl. ebd., S. 37 ff.).
2.2.1 Kriegsgefangene als Arbeitskräfte
Während die deutschen und österreichischen Kriegsgefangenen in den ersten Jahren des Konflikts noch nicht als Arbeitskräfte eingesetzt wurden, wie bereits in Kapitel 2.1 dargestellt worden ist, setzte Großbritannien gegen Ende des Krieges vermehrt auf die nun rapide ansteigenden Kriegsgefangenen zur Unterstützung der eigenen Wirtschaft. Die Gefangenen wurden hierbei hauptsächlich in drei Sektoren beschäftigt: Entweder direkt im „service“ des Militärs, oder aber in der Landwirtschaft oder Industrie. In ersterem Fall sind wohl überwiegend anfallende Arbeiten im eigenen Kriegsgefangenenlager gemeint, für welche die Gefangenen nicht entlohnt werden mussten. Für andere Arbeiten für das Militär musste den arbeitenden Kriegsgefangenen so viel bezahlt werden, wie den eigenen Soldaten in der selben Rolle. Alternativ konnte auch ein Gehalt mit der gegnerischen Seite für diese Arbeiter ausgehandelt werden (vgl. Davis 1977, S. 626 f.). Für die Arbeit in der Landwirtschaft oder in der Industrie wurden Gehälter auf Vertragsbasis von den Verantwortlichen der Kriegsgefangenenlager mit den potentiellen Arbeitgebern ausgehandelt. Diese Gehälter sollten sich idealerweise im Rahmen des lokal üblichen Standardgehalts für die jeweilige Arbeit bewegen. Der Großteil des Gehalts selbst wurde den Gefangenen in der Regel nicht direkt ausgezahlt, sondern entweder für das „gemeinsame Wohlergehen“ („common welfare“) des Lagers oder für die zukünftige Entlassung des Gefangenen zurück gehalten. Den Teil des Gehalts, welcher den Gefangenen zustand, erhielten sie zumeist in einer Form von „Lager-Währung“, welche nur in der Kantine des Lagers genutzt werden konnte (vgl. ebd., S. 628). Bis März 1945 wurden insgesamt 66 500 deutsche Kriegsgefangene als Arbeitskräfte in Großbritannien eingesetzt (vgl. Moore 1997, S. 118), nachdem am 12ten Juli 1944 beschlossen wurde, nun neben Italienern auch Deutsche zu beschäftigen. Dieser Sinneswandel war zumindest teilweise durch den Seitenwechsel Italiens zu den Alliierten und in diesem Zusammenhang durch das Abebben des Zuflusses italienischer Kriegsgefangen motiviert. Trotz dieser Veränderung im Umgang Großbritanniens mit ihren deutschen Kriegsgefangenen stellten die Beschäftigen immer noch nur einen Bruchteil der Gesamtzahl der Gefangenen dar. So waren im November 1944 immer noch ca. 100 000 deutsche Kriegsgefangene unbeschäftigt (vgl. ebd., S. 132-135). Dies sollte sich in den nächsten Monaten und Jahren allerdings drastisch ändern, und die gefangenen Deutschen würden zu einem wichtigen und teilweise auch notwendigen Bestandteil der britischen Nachkriegswirtschaft werden, wie im Folgenden Kapitel aufgezeigt werden wird.
2.3 Nach Kriegsende (1945-48)
Das in Kapitel 2.2 bereits kurz erwähnte Fraternisierungsverbot wurde im Dezember 1946 aufgehoben, was hieß, dass Deutsche Kriegsgefangene nun britische Zivilisten besuchen und sich allgemein viel freier um das Lager herum in einem 5-Meilen-Radius bewegen durften. Sogar das Auto-Fahren wurde nun erlaubt. Im Laufe des Jahres 1947 wurde den Gefangenen noch mehr Freiheiten zugestanden, wie z.B. der Besuch lokaler „Kinos, Geschäfte oder Restaurants“. Dies gipfelte im Juli 1947 in der „Erlaubnis, britische Mädchen zu heiraten“. Spätestens seit 1946 kam es scheinbar vermehrt zu geheimen Beziehungen zwischen einheimischen Frauen und deutschen Kriegsgefangen. Durch die zunehmenden Freiheiten der Deutschen innerhalb Großbritanniens wurde es zunehmend schwerer, diese zu unterbinden, was auch mit zur Lockerung des Fraternisierungsverbotes und schließlich seiner kompletten Aufhebung beitrug. Insgesamt gab es im Anschluss darauf 796 Heiraten zwischen britischen Frauen und deutschen Kriegsgefangenen (vgl. vgl. Wolff 1974, S. 42).
Diese Entwicklung schien auch zu einem großen Teil von der Öffentlichkeit unterstützt zu werden. So gaben britische Mädchen und Frauen zu, dass sie freiwillig Kontakt mit den Gefangenen hatten, unter Anderem sogar vor Gericht, was in der Regel eine, wenn auch sehr milde, Strafe in Form eines Bußgeldes in Höhe von ein Paar Pfund nach sich ziehen konnte. Auch in der Presse wurden diese Akte der Verbrüderung, wie diese Beziehungen zwischen deutschen Männern und britischen Frauen ironischerweise bezeichnet wurden, nicht verachtet sondern als Zeichen der Menschlichkeit und des Mitleids („pity“) gesehen (vgl. Moore 2013, S. 755 f.). Obwohl sich das Bild der Deutschen also generell zu bessern schien, so musste zumindest eine Britin, welche in einer romantischen Beziehung zu einem Kriegsgefangenen stand, mit der Diskriminierung ihrer Landsleute aufgrund dieser Beziehung kämpfen. Dies ging von verbalen Attacken bis hin zu „being punched and spat at in the streets“ (ebd., S. 758).
Trotz dieser allgemein guten Zustände kämpften viele der Gefangenen, mitunter auch aufgrund der besonders langen Gefangenschaft, mit eigenen Problemen geistiger Natur. Hier werden „Hoffnungslosigkeit, Depressionen, Selbstmorde und Versuche dazu“ genannt (vgl. ebd. S. 44 f.). Diese psychischen Probleme wurden mitunter auch unter dem Begriff „barbed wire disease“ zusammengefasst, zusammen mit Symptomen wie „the feeling of homesickness, isolation, and loss of freedom, and more serious symptoms such as intense irritability, moodiness, depression, and even paranoia” (Hellen 2008, S. 42). Besonders betroffen waren ältere Gefangene, bei welchen diese Symptome das Risiko psychotischer und psychologischer Erkrankungen verstärke (vgl. ebd.). Peter Steinbachs Charakterisierung der Kriegsgefangenschaft als „die Erfahrung der Leere, des Versagens, der Unsicherheit, der Raum- und Zeitlosigkeit.“ (Steinbach 1997, S. 278) fasst diese negativen Aspekte der Gefangenschaft treffend zusammen.
Die liberalere Behandlung der Kriegsgefangenen war auch durch bedingt durch deren intensiveren Einsatz als Arbeitskräfte in Großbritannien, worauf im Folgenden näher eingegangen werden soll.
2.3.1. Der intensivierte Arbeitseinsatz
Obwohl Kriegsgefangene zufolge den Bestimmungen der Genfer Konvention nach Beendigung eines Konflikts so schnell wie möglich in ihr Heimatland zurückgebracht werden sollten, war das im Falle der deutschen Kriegsgefangenen in den Händen der Alliierten nicht der Fall, da nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands kein Friedensvertrag geschlossen wurde, welcher die Feindseligkeiten formal beendet hätte. Aus diesen und anderen Gründen hatten die Alliierten beschlossen, die Kriegsgefangenen bis spätestens Dezember 1948 in Gewahrsam zu behalten, bevor die letzten Deutschen repatriiert werden sollten. Wie bereits dargestellt worden sit, wurden die deutschen Wehrmachtsangehörigen in britischer Gefangenschaft seit 1944 auch als Arbeitskräfte innerhalb Großbritanniens eingesetzt, was sicherlich auch zu der Entscheidung die Kriegsgefangenen länger in Gewahrsam zu behalten, beitrug. Mit dem Fortschreiten des Krieges und der Kapitulation Deutschlands und dem damit einhergehenden exponentiellen Anstieg an Kriegsgefangenen wuchs auch der Anteil der arbeitenden Gefangenen, bis zu einem Höhepunkt von 380 000 beschäftigten Deutschen in Großbritannien. Dies war vor allem in der Landwirtschaft spürbar, in welcher die Kriegsgefangenen ein Fünftel der gesamten Arbeitskraft ausmachten. Insgesamt waren zwischen ein bis 2 Prozent der gesamten „labour force“ Großbritanniens in diesen Jahren Kriegsgefangene, und davon wiederum der größte Teil Deutsche, da die Mehrheit italienischer Gefangener bereits repatriiert worden war. In den Jahren 1946 und 1947 trugen die Gefangenen insgesamt ein Prozent zum Bruttoinlandprodukt Großbritanniens bei (vgl. Custodis 2012, S. 243-46). Neben der Landwirtschaft wurden die Kriegsgefangenen auch in „British buldings and civil engineering“ eingesetzt, wo sie bis zu 2% der Gesamtproduktion beitrugen (vgl. ebd., S. 262).
Während die Kriegsgefangenen tagsüber auf den Bauernhöfen arbeiteten, mussten die Meisten von ihnen nachts in ihr jeweiliges Lager zurückkehren. Eine Ausnahme bildeten diejenigen, welche aufgrund von „good behaviour“ in sogenannten „hostels“, d.h. „guarded houses near employment sites“ oder auch auf den Höfen selbst übernachten durften. Diese Art der Unterbringung wurde mit der Zeit sogar aus pragmatischen Gründen bevorzugt “because it saved the costs of guarding, transportation and food, shifted responsibility to the farmer, and increased net working time” (ebd., S. 251), auch wenn es, was die deutschen Kriegsgefangenen anging, zunächst Sicherheitsbedenken gab. Das Bild der gefährlichen Deutschen im Vergleich zu den harmlosen Italienern war offensichtlich noch immer fest im Denken der britischen Politik verankert. Doch nach mehreren „experiments“ wurden auch ehemalige Wehrmachtsangehörige in Hostels und auf Bauernhöfen untergebracht, was mitunter auch zu einer Änderung des Image der deutschen Kriegsgefangenen in der Öffentlichkeit – zumindest dem Teil der Öffentlichkeit, mit dem sie zusammen arbeiteten, also den Bauern selbst und den im Umfeld des Hofes lebenden Dorfbewohnern – und sogar zu Freundschaften zwischen ehemaligen deutschen Soldaten und britischen Zivilisten führte. Custodis zufolge kam dieser Sinneswandel was die Unterbringung der Deutschen betrifft allerdings nicht aufgrund einer Änderung in der Wahrnehmung der Selbigen als Sicherheitsrisiko, sondern viel mehr weil die Unterbringung in Lagern und die Bewachung arbeitender Kriegsgefangener ökonomisch nicht mehr tragbar war (vgl. ebd., S. 251-254).
Was die Arbeit selbst angeht wurden die Deutschen generell als produktiver und effizienter als die Italiener angesehen, zumindest wurde diese Sichtweise sowohl in der Öffentlichkeit in Form der Presse, als auch in der Politik geäußert. Dies sei allerdings nur der Fall, wenn Sie entsprechend unter Beobachtung standen und klare Instruktionen erhalten hatten. Eine Untersuchung der Arbeitszeiten von Italienern und Deutschen kam zum selben Ergebnis, dass die deutschen Kriegsgefangenen generell mehr arbeiteten. (vgl. ebd., S. 255 f.)
Zusammengefasst war die Mitarbeit der deutschen Kriegsgefangenen in den letzten Monaten des Krieges sowie in den Jahren danach signifikant, vor allem in der Landwirtschaft (vgl. ebd., S. 265).
Während die Kriegsgefangenen in Großbritannien mithalfen, die britische Wirtschaft wieder anzukurbeln, machte sich die britische Regierung auch Gedanken darüber, wie Deutschland in Zukunft als demokratischer Staat wieder aufgebaut werden konnte. Zu diesem Zweck wurde ein Programm zur Umerziehung ausgewählter Kriegsgefangener ins Leben gerufen, welches im nächsten Abschnitt behandelt werden wird.
2.3.2 Die Umerziehung deutscher Soldaten in Wilton Park
Spätestens seit dem im vorangegangen erwähnten Bericht von Cyrus Brooks gab es in Großbritannien Überlegungen, wie deutsche Soldaten vom Nationalsozialismus weg und hin zu demokratischen Werten geführt werden konnten. Da die Zahl der Kriegsgefangenen zu diesem Zeitpunkt allerdings noch recht überschaubar und der Ausgang des Konfliktes ungewiss war, wurde dieser Ansatz fürs Erste nicht weiter verfolgt. Spätestens ab 1944 änderte sich diese Einstellung allerdings mit dem rapiden Anstieg der Anzahl an Kriegsgefangenen und man begann an einem Programm zur Umerziehung der Selbigen zu arbeiten. Geleitet werden sollte dieses Programm ausgerechnet von einem Preußen, Heinz Köppler, welcher 1933 aufgrund des Studiums mittelalterlicher Geschichte nach Großbritannien ausgewandert war. Scheinbar hatte auch ein Anteil der Kriegsgefangenen selbst Interesse daran, „bei der Befreiung Deutschlands von den Nazis mitzuhelfen“, was ein guter Indikator dafür war, dass es unter den Gefangenen durchaus Individuen gab, welche für ein solches Programm der Umerziehung empfänglich wären. Zu diesem Zweck sollten „Bekannte Nazis […] von den anderen Gefangenen isoliert werden“, da Versuche zur Umerziehung als Zeitverschwendung angesehen wurden, solange dieser starke nationalsozialistische Einfluss in den Lagern bestand. Interessanterweise wurde die „Umerziehung lediglich als ein Auftakt zum allgemeinen Umgang mit dem deutschen Volke nach Hitlers Niederlage gesehen.“, d.h., dass auch zumindest eine Art von politischer Umerziehung für das deutsche Volk im Allgemeinen vorgesehen war. (vgl. Smith 1997, S. 43-48).
Dieses Programm zur Umerziehung begann 1946 in einer eigens hierfür in Wilton Park von Köppler und seinem Team eingerichteten Schule Fahrt aufzunehmen (vgl. ebd., S. 166). Dort sollten einige tausend ausgewählte deutsche Kriegsgefangene mit den Verbrechen der Nazis konfrontiert werden und diese auch in einen größeren Kontext der deutschen Geschichte bis dahin setzen. Das Ziel war, aus diesen Ex-Soldaten demokratische Bürger zu machen, welche beim Wiederaufbau Deutschlands im Sinne der Westmächte helfen sollten. Obwohl diese wenigen Auserwählten, im Gegensatz zu ihren Kameraden, nicht arbeiten mussten, so wäre es ihnen doch lieber gewesen, hätte man sie statt des Unterrichts in die Heimat geschickt. Dieses Bedürfnis wurde noch verstärkt durch Briefe aus Deutschland, welche von den immer schlechter werdenden Lebensumständen berichteten, welche auch Schuldgefühle bei den Gefangenen hervorriefen, da es ihnen selbst vergleichsweise gut ging. Diese Umstände machten es schwer sich auf den Unterricht zu konzentrieren (vgl. ebd., S. 151-54).
Ausgewählt für das Umerziehungsprogramm wurden die Gefangenen mehr aufgrund persönlicher Charaktereigenschaften wie z.B. Einfühlungsvermögen als auf politischer Einstellung. Dies wird deutlich an der Beurteilung eines deutschen Kriegsgefangenen als „politisch naiv, hat aber die richtige Einstellung“. Benotet wurde dieser Gefangene mit einem A, also sehr gut für die Umerziehung geeignet. Ebenfalls mitbestimmend bei der Auswahl der Kursteilnehmer waren deren Alter, da ältere Männer weniger enthusiastisch schienen, und deren Bildungshintergrund, da weniger gebildete Gefangene mitunter nicht mit dem relativ anspruchsvollen Unterrichtsmaterial mithalten konnten (vgl. ebd., S. 156-160).
Später wurden dann auch Studenten aus Deutschland nach Wilton Park geholt, um dort zusammen mit den Kriegsgefangenen zu lernen. Für die Gefangenen war dies die erste Konfrontation mit Menschen aus der Heimat seit sie in britische Gefangenschaft geraten waren. Diese Begegnungen weckten allerdings Gefühle der Missbilligung auf beiden Seiten: Die Kriegsgefangenen waren neidisch, dass die deutschen Zivilisten nach Abschluss des Kurses nach Hause zurückkehren durften, während die Zivilisten in der Heimat nach Ende des Krieges „Hunger, Kälte und Obdachlosigkeit erfahren“ hatten, während die Gefangenen in relativen „Luxus“ gelebt hätten (vgl. ebd., S.161 f.).
Neben der Geschichte wurden auch die „Landeskunde Großbritanniens“ und „internationale Beziehungen“ gelehrt. Daneben gab es auch eigene Vorlesungen zu geschichtlichen Themen, wie der Weimarer Republik und dem dritten Reich, aber auch zu aktuellen politischen Ereignissen, wie den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen und „vergleichende Darstellung der Demokratien“ (vgl. ebd. S. 165).
Die Umerziehung in Wilton Park wurde von den Gefangenen größtenteils positiv bewertet. Vor Allem Dr. Köppler wurde hoch gelobt und als „große Inspiration“ angesehen. Ein Gefangener ging sogar so weit zu sagen, er sei in Wilton Park wieder Mensch geworden. Allerdings gab es auch negative Stimmen, welche die Schule als „Traumfabrik“ bezeichneten oder die Lehrer sogar indirekt als Kommunisten bezeichneten (vgl. ebd., S. 167 f.).
Insgesamt ist es schwer zu beurteilen, wie effektiv dieses Programm tatsächlich war. Die Absolventen wurden nach Kursabschluss zurück in ihr Lager geschickt, wobei darauf gehofft wurde, dass sie das gelernte weiter an ihre Kameraden geben, und diese so positiv beeinflussten. Smith urteilt, dass aus einigen Lagerberichten hervorgeht, dass dies zumindest bedingt tatsächlich der Fall gewesen ist. Als Beispiel hierfür wird unter Anderen ein Absolvent genannt, welcher „einen Kurs in politischen Wissenschaften“ mit 21 Mitgefangenen durchführte. Mit der Zeit schien das Programm allerdings weniger effektiv zu werden. Dies lag vor Allem daran, dass die am Besten geeignetsten Kandidaten die Kurse in Wilton Park schon durchlaufen hatten und nun weniger geeignete, d.h. Gefangene mit einem niedrigeren Bildungsniveau, ältere Gefangene oder politisch problematischere Gefangene unterrichtet wurden, welcher für die Umerziehung weniger empfänglich waren. (vgl. ebd., S. 169 f.)
Eine der Methoden des Umerziehungsprogramms bestand in der Schaffung eines neuen Zusammengehörigkeitsgefühls, welches das Gruppenzugehörigkeitsgefühl des Nationalsozialismus ersetzen sollte. Köppler war hierin allerdings so erfolgreich, das ein „britischer Besucher“ von Wilton Park den Eindruck hatte, dass dadurch ein neues „Elitedenken“ unter den Gefangenen entstehen würde, was das Alte lediglich ersetze.
3 Zusammenfassung und Fazit
Ziel dieser Untersuchung war es, einen möglichst vollständigen Überblick über die Erfahrungen deutscher Kriegsgefangener in Großbritannien während des zweiten Weltkrieges zu geben, wobei von Anfang an klar war, dass eine Arbeit dieses Umfangs niemals alle Aspekte dieses Themas abdecken konnte. Aus diesem Grund beschränkte sich der Autor auf die wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen der Kriegsgefangenschaft, angefangen mit den durch die Invasionsangst bewirkten Deportationen deutscher Gefangener entgegen den Bestimmungen der Genfer Konvention, über dramatische Eskalationen wie die Fesselungskrise, bis hin zum pragmatischen Einsatz deutscher Wehrmachtsangehöriger als Arbeitskräfte und deren Umerziehung im Sinne des demokratischen Westens. Unter diesen Erfahrungen hatten der Arbeitseinsatz sowie die Umerziehung den wohl größten Einfluss auf diejenigen Kriegsgefangenen, welche nicht außerhalb Großbritanniens gebracht wurden.
Trotz gelegentlicher Verstöße gegen die Genfer Konvention starben bis Anfang 1947 in Großbritannien aufgrund der generell guten Versorgung Kriegsgefangener lediglich 1254 deutsche Kriegsgefangene (vgl. Wolff 1974, S. 40). Insgesamt „wurden während des Krieges 404 Fluchtversuche unternommen, danach weitere 1777“ (vgl. Wolff 1974, S. 41). Diese relativ geringe Anzahl an Todesfällen und Fluchtversuchen steht stellvertretend für den generell guten Umgang mit den Kriegsgefangenen.
Selbstverständlich gab es auch Ausnahmen von der Regel, wie z.B. im Falle der Deportationen und der Fesselungskrise. Manche Probleme rührten jedoch nicht von der Gewahrsamsmacht, sondern von den Gefangenen selbst her, wie der geplante Ausbruch einer Gruppe von Nazis im Jahr 1944, welche Waffen und Panzer stehlen und London angreifen wollten, deutlich zeigt. Dieser Plan wurde letztendlich durch einen Mitgefangenen vereitelt, welcher sie verriet. Als Reaktion darauf wurde er von den selben Nazis zu Tode geprügelt, von welchem wiederum fünf für diesen brutalen Mord erhängt wurden (vgl. Neufeldt & Watson 2013, S. 38). Dieses Beispiel zeugt deutlich die Spannungen, welche teilweise in den Lagern herrschten. Laut Steinbach waren ungefähr 10 Prozent der Gefangenen selbst überzeugte Nazis, mit weiteren 30 Prozent welche er als „Kreis der engeren Gefolgsleute“ beschreibt. Maximal 10 Prozent seien Gegner des Regimes und beim Rest handle es sich um Mitläufer, welche sich von beiden Seiten beeinflussen ließen (vgl. Steinbach, S. 280). Das Ziel von Heinz Köpplers Umerziehung war es nun, diese Mitläufer mithilfe von speziell ausgewählten Kandidaten, darunter mit Sicherheit auch viele dieser Regimegegner, von der westlichen Demokratie zu überzeugen. Dies sollte allerdings nicht durch Gehirnwäsche stattfinden, sondern durch Unterricht auf hohem Niveau und durch anregende Diskussionen der Deutschen untereinander (vgl. Smith 1997, S. 164 f.), was auch zu mäßigen Erfolgen geführt zu haben scheint.
Ein weiterer Punkt der Untersuchung war der Einfluss des Krieges auf das Leben der Kriegsgefangenen. Bob Moore zufolge beeinflusste das Kriegsgeschehen ausschlaggebend die Wahrnehmung und dadurch indirekt auch die Behandlung deutscher und italienischer Kriegsgefangener und deren Einsatz als Arbeitskräfte. Während die Deutschen zu Beginn des Krieges als zu gefährlich für den Einsatz in der britischen Wirtschaft angesehen wurden, so müssten diese spätestens seit dem Übertritt Italiens auf Seiten der Alliierten die italienischen Kriegsgefangenen als Arbeitskräfte ersetzen. Dies bedeutet nicht zwingend, dass deutsche Gefangene nun als weniger gefährlich wahrgenommen wurden, sondern war viel mehr eine Notwendigkeit im Angesicht der durch den Krieg in Mitleidenschaft gezogenen britischen Wirtschaft. Es war der Einsatz der Kriegsgefangenen als Arbeitskräfte selbst und der dadurch gezogene Nutzen für Großbritannien, welcher das Bild der fanatischen Wehrmachtsangehörigen langsam veränderte (vgl. Moore 1997, S. 136).
Auch in anderen Aspekten lässt sich dieser Einfluss deutlich nachvollziehen. Während die Deutschen zu Beginn des Krieges als naiv und von Hitler verführt dargestellt und klar von den Nazis unterschieden wurden, änderte sich ihr Bild dramatisch mit den britischen Niederlagen auf dem europäischen Festland und der drohenden Invasion. Nun war der Deutsche, und damit auch und vor Allem der deutsche Kriegsgefangene als Soldat, ein gefährlicher Gegner, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen galt. Als die Zahl der Kriegsgefangenen stieg und diese dann letztendlich als Arbeiter in der britischen Wirtschaft eingesetzt wurden kam die britische Öffentlichkeit zum ersten Mal – trotz des Fraternisierungsverbotes – Angesicht zu Angesicht in Kontakt mit den Kriegsgefangenen. Und es scheint, dass sich das Bild der Deutschen hiermit auch zu verändern schien. Moore fasst diese Entwicklung folgendermaßen zusammen: „Over time, an amorphous and demonized enemy was replaced in the public mind by individuals who, for the most part, turned out to be very much like their own fathers, sons and brothers.” (Moore 2013, S. 759). Sogar aus der Presse jener Zeit lässt sich ein relativ hohes Maß an Mitgefühl herauslesen, wenn Kriegsgefangene sarkastisch als „Friedensgefangene“ bezeichneten und deren Arbeitseinsatz als „Sklavenarbeit“ verurteilt wurde (vgl. Smith 1997, S. 162).
Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass die Erfahrungen der Kriegsgefangenen stark vom Verlauf des Krieges selbst und damit verbunden mit dem Bild der Deutschen in der Politik und Öffentlichkeit zusammenhingen. Generell wurden die deutschen Kriegsgefangenen in Großbritannien gut bis sehr gut behandelt, auch wenn die Motivation hierfür bis 1945 hauptsächlich das Prinzip der Gegenseitigkeit gewesen sein dürfte, wie die Behandlung der SEPs, auf welche nicht allzu detailliert eingegangen werden konnte, zeigt. Der Einfluss, welcher die Kriegsgefangenschaft in britischen Gewahrsam auf das zukünftige Leben der Gefangenen nach ihrer Repatriierung hatte, ist schwer zu ermitteln, doch zumindest einige der Absolventen von Wilton Park erinnerten sich noch viele Jahre nach ihrer Entlassung in die Heimat an die in Großbritannien gemachten Erfahrungen. Auch wenn diese nicht durchweg als positiv wahrgenommen wurden, so waren sich die Heimkehrer einig, dass ihre Behandlung im Großen und Ganzen fair gewesen war (vgl. ebd., S. 168). Und wie gezeigt wurde fanden einige der ehemaligen Gefangenen sogar die Liebe und begannen ein neues Leben auf der anderen Seite des Ärmelkanals in dem Land, dass sie selbst Jahrelang gefangen gehalten hatte.
Literaturverzeichnis:
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